Geschichte

Die Texte stammen von Dr. Klaus J. Becker, aus dem Kalender des Kultur- und Verkehrsvereins, mit Erklärungen zur Bockenheimer Geschichte und zum Jubiläumsjahr 2020.

Dr. Klaus J. Becker

Geboren am 7. Juli 1963 in Bockenheim an der Weinstrasse. 1983 Abitur am Staatlichen Leininger Gymnasium in Grünstadt, anschließend Zivildienst im Rettungsdienst und Krankensport. 1985 Praktikant der evangelischen Kirchengemeinde Bockenheim an der Weinstrasse. 1986-1988 Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann bei der co op – Kurpfalz AG. 1988-1994 Studium der Betriebswirtschaftslehre, der Wirtschaft- und Sozialgeschichte, der Neueren Geschichte sowie der Politischen Wissenschaft an der FH Worms und an der Universität Mannheim. 1994 Studiumabschluss als Magister Artium. Anschließend Promotion mit einem Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung des DGB, mehrere Archivpraktika. Seit November 1997 wissenschaftlicher Angestellter im Stadtarchivs Ludwigshafen.

770

Schon in den ersten Jahren seines Bestehens kommt das Benediktinerkloster im rechtsrheinischen Lorch in den Genuss zahlreicher Güterschenkungen, die im Lorscher Codex als Kopie überliefert sind, darunter aus dem Jahr 770 auch eine von Grimbert aus der „Buckenheimer“ (Bockenheimer) Gemarkung. Obwohl auf dem Gelände unserer heutigen Gemeinde schon Menschen seit der mittleren Steinzeit siedelten, verdanken wir den ersten schriftlichen Hinweis auf Bockenheim also einer mittelalterlichen Inventurliste in Form eines Kopialbuchs mit insgesamt über 3.800 Einträgen. Dem dort überlieferten lateinischen Text vom 26. Mai 770 entnehmen wir:
„In Christi Namen am 7. Tage der Kalenden des Juni, im zweiten Herrschaftsjahr König Karls, schenke ich, Grimbert, dem heiligen Märtyrer Nazarius, (dessen Leib im Rheingau in einem Kloster ruht, das Lauresham genannt wird) im Wormsgau in der Buckenheimer Mark einen Mansus und eine Hube. Und was auch immer in der Mark selbst ich sonst noch an Wiesen, Feldern, Äckern und Weinbergen, Häusern und Gebäuden habe, schenke ich zu ewigem Besitz mit Handgelöbnis. Veraktet im Kloster Lorsch unter obigem Datum. Zeichen des Grimbert, der wünschte, dass diese Schenkung geschehe und bestätigt werde.“

Das frühmittelalterliche Bockenheim

war gekennzeichnet von einer Vielzahl von Grundherren. Neben dem bereits erwähnten Kloster Lorsch hatte z.B. auch das Hochstift Lüttich bedeutenden Grundbesitz in unserer Gemarkung. Hinzu kam ab 1196 das Prämonstratenserkloster Wadgassen an der Saar. Die Klosterschaffnerei wiederum war dem Kloster Otterberg gehörig. Zudem gab es auch noch das Rittergeschlecht der Edlen von Bockenheim, das urkundlich erstmals 823 erscheint. Mit der Grundherrschaft verbunden war allerdings auch die Verfügungsgewalt der Grundherren über ihre mittellosen Grundholden (Untertanen) auf der Grundlage der Verfügung über das von ihnen bewohnte Land. Die auf unserem Kalenderblatt erkennbare mittelalterliche Grenzmauer wirkt auf uns heute sehr romantisch; vor 1000 Jahren bestimmte diese Grenzziehung allerdings das Tagewerk derjenigen die links oder rechts von ihr wohnten, noch sehr willkürlich nach dem Gutdünken des Grundbesitzers.

Das mittelalterliche Bockenheim

war gekennzeichnet von den stetigen Konflikten zwischen den Grafen von Leiningen und den Kurfürsten von der Pfalz. Die Leininger erhielten bereits 1250 die Vogtei über die Klosterschaffnerei und wurden dadurch nachfolgend die bestimmenden Grundherren in ganz Bockenheim. 1285 wird erstmals zwischen einem Groß- und Kleinbockenheim unterschieden. 1460 versuchte die Kurpfalz unter Friedrich I. erstmals beide Bockenheims mit Waffengewalt sich anzueignen. 1471 erlitten beide Dörfer bei einem neuerlichen kurpfälzischen Angriff große Zerstörungen. Entsprechend gaben die Leininger Grafen ihrer nach 1582 in Kleinbockenheim errichteten Emichsburg auch einen geradezu anachronistischen militärischen Charakter mit zwei kleinen Bastionen links und rechts der barocken Toreinfahrt und der hier abgebildeten Wehrmauer, die nämlich keiner Landknechtsarmee des 16. Jahrhunderts hätte standhalten können!

In der frühen Neuzeit

konnten sich die Kurpfälzer schließlich doch noch zumindest in Großbockenheim etablieren, da ihnen 1561 die Lambertskirche anheimgefallen war. Statt des katholischen Pfarrers predigte hier nun ein reformierter Geistlicher, während in Kleinbockenheim der Gottesdienst im Sinne Martin Luthers abgehalten wurde. Erst nach 1700 unterstand die abgebildete Lambertskirche einem Simultaneum und war damit auch wieder für Katholiken zugänglich. Man erkennt bei dieser Aufnahme deutlich, wie sehr der jeweilige Zeitgeist bei der ursprünglich vollständigen ummauerten Wehrkirche aus dem 13. Jahrhundert eingegriffen hat.

Reformation in Groß- und Kleinbockenheim

Ging man seit der Reformation in Groß- und Kleinbockenheim konfessionell also getrennte Wege, so gehörten trotzdem beide Dörfer – gemeinsam mit Monsheim und Kindenheim – als Amt Emichsburg zur Grafschaft Leiningen-Dagsburg-Hardenburg. Die Leininger nutzen das in Kleinbockenheim gelegene Schloss aber nur als Witwenresidenz  bzw. als Nebenresidenz für nicht nachfolgeberechtige Kinder des Grafen. Für die Bockenheimer bedeutete dies natürlich trotzdem eine große Last, denn auch die heute noch erhaltene barocke Hofeinfahrt wurde um 1600 natürlich aus den Abgaben der hiesigen Untertanen finanziert.

Emichsburg

1796 waren den Bockenheimern die Lasten für den Erhalt der Emichsburg endgültig zu viel geworden: Als die 1779 in den Reichsfürstenstand erhobenen Leininger vor der französischen Revolutionstruppen endgültig auf das rechte Rheinufer geflüchtet waren, entlud sich der Volkszorn im Abbruch der wohl schon 1795 durch Brand beschädigten Emichsburg. Das heutige Schloss Janson ist also ein auch örtlich veränderter Neubau des frühen 19. Jahrhunderts durch Heinrich Weiß, der die Ruine 1806 vom französischen Staat erworben hatte. Spolien aus der alten Emichsburg finden wir heute über das ganze Dorf verteilt.

Blaues Rathaus im Leininger Ring

Seit 1816 gehörten Groß- und Kleinbockenheim zum Königreich Bayern. Die neue Staatsmacht ließ die bisherigen kurpfälzischen Amtshäuser durch Rathausneubauten ersetzen. Während in Großbockenheim in der Hauptstraße eine Kombination aus Schul- und Verwaltungsgebäude errichtet wurde, entschied man sich in Kleinbockenheim im Leininger Ring für ein reines Verwaltungsgebäude, in dem die Bürgermeisterei, der Ratssaal, aber auch der Spritzenwagen der Feuerwehr und sogar eine Arrestzelle untergebracht wurden. Auf dieser historischen Aufnahme ist auf dem Dach des heutigen „Blauen Rathauses“ noch die Funkantenne zu erkennen mit der Dienstanweisungen aus München direkt übermittelt wurden.

1868

begannen die Planungen für damals noch die Staatsgrenze zwischen dem Königreich Bayern und dem Großherzogtum Hessen-Darmstadt übergreifende Eisenbahnlinie Grünstadt-Monsheim. Sie sah einen gemeinsamen Haltepunkt für Großbockenheim, Kleinbockenheim und Kindenheim vor, weshalb auch alle drei Gemeinden bei den Baukosten herangezogen wurden. Allerdings fanden die Planungen nicht nur Zustimmung, da die Bockenheimer u.a. Rauch- und Brandschäden bei der Getreideernte fürchten. Ende 1872 waren die Gleise und die gemeinsame Bahnstation errichtet; 1873 begann der Bahnbetrieb und der Bahnhof war ab sofort ein gerne eingefügtes Motiv auf den Grußpostkarten aller drei an den Errichtungskosten beteiligten Gemeinden.

1896

begannen die Planungen und anschließend der Bau einer Trinkwasserleitung für Kleinbockenheim. Was uns heute selbstverständlich erscheint, war damals ein großer Luxus und führte mit anderen Hygienemaßnahmen zu einem gewaltigen Anstieg der Bevölkerung. Die Folge davon war, dass viele Dorfbewohner nicht mehr in der heimischen Landwirtschaft ihr Auskommen fanden, sondern zunächst als Tagelöhner in der neu entstandenen Metallfabriken Eisenbergs oder Frankenthals bzw. in der chemischen Industrie in Ludwigshafen ihr Glück versuchen mussten. Schnell wurden daraus jedoch feste Arbeitsplätze, die sich nach der Jahrhundertwende durch die höhere Bezahlung als in der Landwirtschaft auch immer höherer Beliebtheit erfreuten.

Weinlese

Auch wenn viele Bockenheimer dank der Industriellen Revolution des Kaiserreichs in der Vorderpfalz inzwischen neue Arbeitsplätze gefunden hatten, so war auch noch in der Weimarer Republik die Landwirtschaft ein wichtiger Nebenerwerbsfaktor in den beiden Dörfern. Dies trifft vor allem auf die weibliche Dorfbevölkerung zu, die gerade während der Traubenlese als Saisonarbeitskräfte nachgefragt wurden. Die Aufnahme stand aus dem Jahr 1926.

Spatenstich 1955

Politik hingegen war offensichtlich auch 1955 noch reine Männersache, wie man bei der Zusammenkunft beider Gemeinderäte am 9. Juli 1955 anlässlich des ersten Spatenstichs zum gemeinsamen Schulhausbau erkennen kann. „Im Interesse des öffentlichen Wohls“ beantragten die Gemeinderäte damals beim Innenministerium von Rheinland-Pfalz aus den beiden Einzelgemeinden die Gesamtgemeinde „Bockenheim an der Weinstraße“ zu bilden.
Seit dem 1. Oktober 1956 ist sie Wirklichkeit.

Das moderne Bockenheim

Obwohl das moderne Bockenheim also gerade einmal 63 Jahre alt ist, darf es stolz auf seine erste urkundliche Erwähnung vor 1250 Jahren zurückblicken – heute zählt die Gemeinde auf einer Fläche von 11,24 km2 eine Einwohnerzahl 2178, was 194 Einwohner je km2 entspricht. Nicht nur baulich sind die beiden Gründungsgemeinden inzwischen nahezu vollständig zusammengewachsen. Unser diesjähriges Gemeindejubiläum hat bewiesen, dass dies auch auf die funktionierende Dorfgemeinschaft zutrifft.

Im Blauen Rathaus finden anläßlich unseres Jubiläums viele Veranstaltungen zum 1250jährigen Bestehens unserer Gemeinde statt. Weitere Information auf der Webseite „Blaues Rathaus“